Als wir uns vor einigen Tagen zur ersten Probe für das neue Weihnachtsprogramm trafen und ich den Kollegen das von denselben in Auftrag gegebene „Weihnachtslied“ von Heinrich von Herzogenberg vorstellte und den Werdegang von der Motette im sechsstimmigen Original bis zur Fassung für fünf Männerstimmen erläuterte, meinten sie, das Ganze wäre auch eine Vorstellung auf unserer Website wert. Dem komme ich hiermit nun nach.
Nach der Bearbeitung einiger solcher Motetten (u.a. „Os iusti“ von Anton Bruckner und dem „Abendlied“ von Josef Gabriel Rheinberger) kann ich sagen, dass es grundsätzlich kein Problem ist, ein sechsstimmiges romantisches a-cappella-Chorwerk mit fünf Männerstimmen darzustellen. Je nach Anlage desselben kann das auch für Stücke bis zur Achtstimmigkeit gelten.
Wie ich dabei vorgehe, will ich im folgenden kurz vorstellen. Grundsätzlich gilt folgendes Prinzip: Jede Stimme, egal ob Sopran oder Bass wird in der Männerlage gesungen. Damit ändert sich der Stimmumfang des Werks von oftmals über drei Oktaven auf etwas über zwei Oktaven. So kann man theoretisch jedes Chorstück aus der Gemischt-Chor-Lage in die Männerchor-Lage versetzen. Es ist dann lediglich darauf zu achten, dass tiefe Alt-Stellen nicht unter die des Basses zu liegen kommen. Dort sind also gegebebenfalls noch Oktavierungen oder Streichungen vorzunehmen. Dieses Vorgehen wird lediglich an einigen besonderen Stellen durchbrochen. Dazu komme ich später.
Nun zur Reduzierung um eine oder mehr Stimmen: Zunächst schaue ich mir im Original alle wichtigen Linien und Harmonietöne an, auf die keinesfalls verzichtet werden kann. Dann zeichne ich mit Pfeilen mögliche neue Stimmführungen und Übergänge zwischen Stimmen an. Ich arbeite mich von den wichtigsten Stellen zu den weniger wichtigen Passagen vor. Am Ende sollen ja auch Stimmen übrig bleiben, auf die eben verzichtet werden kann.
Wenn ich auf diese Weise das ganze Stück durchgearbeitet, „durchdacht“ habe, trage ich gleiche noch farblich in die Chorpartitur ein. Dabei zeigt sich dann, ob wirklich nichts wichtiges vergessen wurde. Oftmals braucht es dabei noch die ein oder andere Korrektur. Es geht ja neben der möglichen Darstellung aller wichtigen musikalischen Details auch darum, den Charakter der jeweiligen Originalstimme auf einen bestimmten Ensemble-Sänger zu übertragen. Das bedeutet, dass jeder von uns fünf Sängern dann einer, zwei oder maximal drei Stimmen des Originals gegenüber steht, die er dann immer wieder vertritt. Ein besonderes Charakteristikum ist z.B. wenn der Alt im Original als Oberstimme über den Männerstimmen agiert. Solche Stellen setze ich dann gern 1:1 um, d.h. der Alt wird „klingend“, also in der (hohen) Originallage und idealerweise immer wieder von der gleichen Ensemble-Stimme übernommen.
Der letzte Schritt besteht darin, die neuen Stimmen in eine neue Chorpartitur zu übertragen. Dies ist meist der schnellste Schritt, zumindest dann, wenn die Vorüberlegungen schlüssig gedacht worden sind. So entsteht also in unserer Notenwerkstatt auch neues, welches möglicherweise von niemandem anderen gesungen wird als von Ensemble Felix.
ac (09/22)